Interview

“Auch ohne Alkohol bleibt die Bar ein Ort für echte Begegnungen.”

Sebastian Schneider zeigt, wie Genuss und Gastfreundschaft auch ohne Promille gelingen.
Der gefeierte Bartender denkt Nachtleben neu mit Stil, Haltung und 0 %.
Ein Plädoyer für Barkultur mit Klarheit und Respekt.

Text: Sabine Cole, Portrait: Ian Ludewar

Love me, Tender!

Der Mann hinter der Bar ist der Herr der Nacht (der Frau am Shaker widmen wir uns in einem anderen Text in einer anderen Ausgabe, versprochen. Anm. d. Red.). Er sorgt dafür, dass die Gäste auf der anderen Seite des Tresens ihre Sorgen vergessen, oder zumindest jemanden haben, der sie sich anhört.

Oder zumindest so tut als ob. Der Barmann, oder Barkeeper, oder Bartender, kann deinen Abend, deine Nacht zur besten Sause des Lebens machen. Er kann dich vor dir selbst oder anderen retten und dich dabei unterstützen, immer wieder die gleichen Fehler zu machen oder mal was Neues auszuprobieren.

Weil Barleute diese Wirkmacht haben, werden sie bewundert und mit deutlich mehr Respekt behandelt, als zum Beispiel “normale” Service-Kräfte. Barleute sind Projektionsfläche, Tröster, Showmaster, Gastgeber. Auch und nicht zuletzt für den Rest der Belegschaft. Wenn der letzte Gast gegangen ist, geht in der Bar die Nacht oft erst richtig los.

Sebastian Schneider – Barkeeper mit Mission

Sebastian Schneider war so einer. Ein leidenschaftlicher Mixology Künstler, ein mit Gastro Awards überhäufter Bartender. In einem Interview antwortete Schneider - bis 2021 Bar Manager des Luxushotels “The Fontenay” in Hamburg - auf die Frage, wo er Weihnachten verbringe: “Natürlich in der Bar. Ich möchte Gastgeber für all diejenigen sein, die Weihnachten nicht im Kreis ihrer Familie feiern können.”

Der Kick hinter dem Tresen

Was sich anhört wie eine Antwort eines echten Menschenfreundes, ist in Wahrheit Ausdruck einer Abhängigkeit, die mit Alkohol - der legalen Droge jeder Bar - erstmal nichts zu tun hat. Instant gratification, das ist der Stoff, der hinter der Bar gedealt wird.

“Jeder begeisterte Gast ist ein schneller Kick für’s Ego. Du gibst einen Drink raus, wirst - je nach Präferenz - angehimmelt oder bewundert und bekommst ein Lob. Weil Alkohol im Spiel ist, wird es immer eine Spur begeisterter und überschwänglicher. Je länger die Nacht, desto aufgedrehter. Und für dein Team bist du nach Ladenschluss der Anführer, der es in der Hand hat, wie sich alle fühlen. Das ist eine geile Macht.”

Die Schattenseiten des Nachtlebens

Wie so viele wurde auch für Sebastian Schneider das Nachtleben irgendwann ungesund durch die Entgrenzungen des Berufs. “Es ist nicht nur das Mit-Trinken, das wenig Schlafen, das gegen den Rhythmus Leben.

Man braucht immer mehr Nacht, mehr Gäste, mehr Lob. Das ist wie Likes und Klicks in den sozialen Netzwerken. Du weißt zwar, das ist nicht das wahre Leben, das zählt nicht, aber kaputt macht es dich letztlich trotzdem.”

Neustart mit 0 Prozent

2020 zog Sebastian Schneiders Physis, und in der späteren Erkenntnis auch die Psyche, den Stecker. Feierabend, im wahrsten Sinne des Wortes. Als er sich wieder berappelte, wurde ihm klar, dass nicht nur die Abstinenz von Alkohol Teil der Lösung sein würde, sondern auch sein inneres Belohnung Bedürfnis und Belohnungssystem neu programmiert werden muss.

Neue Wege: Selbstfürsorge und Sinnsuche

Mittlerweile ist er Experience Manager bei Thomas Henry und UNDONE. In Talks und Workshops versucht Sebastian Schneider seinen Kollegen aus der Bar-Szene ein Bewusstsein für Selbstfürsorge und einen achtsamen Umgang mit den Nacht-Berufen beizubringen.

Und an einer weiteren Frage tüftelt der talentierte Mixer mit: Wie sieht eigentlich eine Bar aus, in der kein Alkohol ausgeschenkt wird? Kann der Rausch der Nacht auch nüchtern genossen werden? Kann der einsame Trinker am Tresen, auch mit 0% die großen Fragen des Lebens ventilieren?

Zumindest auf diese eine Frage will Sebastian Schneider eine Antwort finden : “Wie geht Sinnsuche und Einsamkeit ohne Betäubung.” Hervorragende Drinks, top serviert, mit alkfreien Nicht-Spirituosen, an einer eleganten Bar, können auf jeden Fall helfen.

“Es braucht keinen Alkohol, um die richtigen Fragen zu stellen – nur einen guten Drink und einen offenen Tresen.“